Artikel von Kiki Baron

Eine kleine Sammlung von Artikeln von Kiki Baron, begleitend zum Podcast "Logbuch - Aufzeichnungen einer Reisejournalistin", die über die Jahre in verschiedenen Medien erschienen sind.

Kiki Baron ist seit drei Jahrzehnten in Sachen Luxus- und Abenteuerreisen unterwegs: Als Autorin schrieb sie unter Anderem für die Magazine "Feinschmecker", "Mare" und "Vogue". Zusammen mit ihrem Mann, dem Fotograf Paul Spierenburg publizierte Sie Bücher und Reiseführer über Traumstrände und die schönsten orte dieser Welt. Einen Auszug ihrer Artikel, passend zum Podcast "Logbuch" gibt es auf dieser Seite...

Schiff Ahoi — Traum voraus

Warum der Hamburger „mare“-Verleger Nikolaus Gelpke
ein Vermögen in den historischen, aber schrottreifen Fischtrawler 
„Cape Race“ investierte. Kiki Baron schrieb diesen Artikel 
für das Magazin „Die Stilisten“ in der Welt am Sonntag. (2020)

Mit nur 38 Meter Länge ist der Trawler wendig im — nicht mehr ganz — ewigen Eis, Bild: © Cape Race Corporation



Hamburg im Sturm Sabine. Im City-Sporthafen knattern die Fahnen, wimmern die Wanten, ächzen Stahl und Holzplanken. Es klingt wie Musik in den Ohren der Autorin, einer Kieler Kapitänstochter. Vor der Elbphilharmonie hat ein Schiff an der langen Pier festgemacht. Schwarzer Rumpf, weiße Aufbauten, rote Masten. Erinnerungen werden wach. In der Kindheit fuhr ich mit meinem Vater zur See. Die M.S. „Cape Race“ stammt aus jener Epoche. Sie wurde 1963 in Quebec, Kanada, als erster Stahltrawler gebaut und in den Fanggründen des Nordatlantiks eingesetzt, zum Beispiel in den New Foundland Banks.

Gleich denkt man an George Clooney als Captain Billy Tyne auf dem Schwertfischfänger „Abigail“ in „The Perfect Storm“. Die „Cape Race“ ist allerdings 16 Meter länger als der Hochseekutter im Film — und deutlich komfortabler in der Kombination aus Hightech mit dem Zauber von Dampfschiffen und Schonern aus dem 19. Jahrhundert. Ursprünglich dafür gedacht, ganzjährig in den unwirtlichsten Seegebieten der Welt auf Fischfang zu gehen, wurde sie im Jahr 2006 so umgebaut, dass man mit ihr komfortabel von Pol zu Pol fahren kann, und mit dem eisstabilen Rumpf eignet sie sich auch für Expeditionen in arktischen Gewässern. Allein die Brücke lädt noch ein zum Schwel- gen in Nostalgie. Alles ist aus wie mit flüssigem Bernstein gelacktem Holz, überall sinnliche Rundungen. Früher sagte man: Weibsbilder an Bord bringen Unglück, dabei sind Schiffe in der Seemannssprache immer weiblich. Und auf den Weltmeeren kommandieren längst auch Kapitäninnen.


“Als ich in Italien sah, wie die Fischer mit den Heinzländer Einzylinder-Motoren in den Sonnenuntergang rausgedampft sind, wollte ich das auch machen…”
 — Nikolaus Gelbe

Von Grund auf neu auf dem Trawler sind die Navigations- und Kommunikationssysteme, alle Rettungs- und Brandbekämpfungsein- richtungen sowie die aufwendige Klär- und Müllanlage, die weit mehr als die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Nichts bleibt im Meer zurück. Die Maschine schluckt ähnlichen Diesel wie moderne Autos. Das Beste, was es derzeit gibt. Sogar eine Sauna wurde eingebaut. Nach dem Schwitzen ins Polarmeer zu hüpfen ist freilich so eine Sache. Die Überlebenschance beträgt vier bis sieben Minuten. Zur Ausstattung an Bord gehören auch Weine, Öl und Gewürze vom Hof „Corzano e Paterno“ der Eignerfamilie in der Toskana. Im Sommer 2020 geht es nach Spitzbergen, im November ins Lofoten-Archipel. Für zwölf Gäste ist Platz, sieben Besatzungsmitglieder sind für Steuerung und Service verantwortlich.

Auf der Brücke steht Nikolaus Gelpke im Wind. Der Verleger und Chefredakteur der Zeitschrift „mare“, Initiator der populären Dokumentationsreihe „mareTV“ im NDR, ist seit 2016 auch Besitzer der „Cape Race“, die unter der Flagge der Cook Islands läuft. Sei- ne grauen Haare stehen strubbelig ab, und ein Kapitänspatent hat er so wenig wie George Clooney. Das hat auf dem Schiff Joachim Schieh. Gelpke ist in Zürich geboren, studierte Meeresbiologe in Kiel und engagiert sich intensiv für den Meeresschutz. Unter anderem initiierte er 2008 mit der Maribus GmbH eine gemeinnützige Institution, die die kostenlosen „World Ocean Reviews“ herausgibt, um die Öffentlichkeit für wissenschaftliche Zusammenhänge zu sensibilisieren. 2019 waren es immerhin 320 Seiten mit Schwerpunkt Arktis und Antarktis.

Wie kommt nun ein Schweizer Meeresbiologe, genau genommen Planktologe, zu so einem Schiff? Bei der Antwort muss Gelpke lachen. Die Geschichte ist etwas komplizierter. Sie beginnt damit, dass ein Reiseveranstalter eine Anzeige im „mare“-Heft schalten wollte. Bei der Durchsicht von dessen Katalog sah Gelpke das Schiff. Denselben Typ hatte er kurz zuvor als Modell im Schaufenster einer Apotheke in Kiel-Holtenau entdeckt. Er rief den Veranstalter an, sie trafen sich, besprachen die Möglichkeit einer Kooperation. Später informierte ihn der Reiseveranstalter, der Eigner, ein serbischer Antiquitätenhändler, der mit Fundstücken des 15. Jahrhunderts aus Äthiopien handelt, habe Interesse, den Trawler zu verkaufen. Gelpke zögerte, seine Frau Katja Scholz, Programmleiterin bei „mare“, war erst recht nicht begeistert. Doch der Veranstalter schlug vor, das Schiff über fünf Jahre von ihm zu chartern. Der Jugendtraum nahm Gestalt an. Sie schlossen einen Vertrag, ein Jahr lief das Schiff wie verabredet. Der Veranstalter ging auf dem Weg nach Reykjavík in Konkurs.

Gelpke flog hin, um endlich mal seine Investition nicht nur auf dem Papier zu sehen. Es war nicht wie erwartet, der Trawler in jämmerlichem Zustand. Der Verleger ließ sich die Kosten für eine Verschrottung des nicht mehr fahrtüchtigen Schiffs ausrechnen: Der Verlust wäre immens gewesen, und so ent- schied er sich für einen Quasi-Neubau. Dafür mussten sie eigens eine Werft bauen und von überall Experten für alte Schiffe engagieren; viele stammen aus Cornwall. Renovierung und Umbau verschlangen fast so viel wie eine kleine Villa an der Elbchaussee. Aber es sein zu lassen war da längst keine Option mehr. Auf der Frankfurter Buchmesse hatte der Verleger es so formuliert: „Ich habe eine tief empfundene Romantik. Als ich in Italien sah, wie die Fischer mit den Heinzländer Einzylinder-Motoren in den Sonnenuntergang rausgedampft sind, wollte ich das auch machen.“ Das kann er nun — mit etwas mehr Zylindern.

Während Gelpke erzählt, laufen Bilder und Videos von Fjorden in Grönland. In einer Szene dümpelt das Schiff vor einem kalben- den Gletscher. „Laut Seekarte hätte es an dieser Stelle über Land fahren müssen.“ Das bedeutet zweierlei: Karten werden weniger schnell neu gezeichnet, als sich Eismassen zurückziehen. Und die „Cape Race“ ist mit 38 Meter Länge klein und wendig genug, um sich arktischen Herausforderungen unverzüglich anzupassen. Dass der Kapitän seine Gäste bei Lagebesprechungen mit einbezieht ist ein weiterer Vorteil gegenüber großen Kreuzfahrtschiffen.
Eisbären auf Futtersuche am Meeressaum begleiten? Kein Problem. Das funktioniert sogar nachts, denn die Sonne steht auch um 24 Uhr senkrecht am Firmament. Für direkte maritime Exkursionen stehen zwei Zodiacs zur Verfügung. Auf künftigen Fahrten wird stets ein Naturwissenschaftler mit an Bord sein oder ein Schriftsteller mit entsprechen- dem Sujet. Es wird viel zu erzählen geben. Beispielsweise von den Lofoten im November. „Seit 2011 sind in dieser Zeit die Herings- schwärme wieder zurück. Und mit ihnen die Wale.“ Für Orcas ist dann nämlich das große Fressen angesagt.

Wagemutige Australier reisen sogar zum Schnorcheln an. „Derartige Verrücktheiten bieten wir natürlich nicht. Wir brauchen keine Fotos mit fliegenden Männern zwischen Orcazähnen.“ In Spitzbergen indes sind auf Wandertouren Guides mit Waffe obligatorisch. Falls plötzlich ein Eisbär angreift. „Wir haben überlegt, selbst Waffen zu kaufen. Doch es ist in Spitzbergen illegal, sie jemandem an Land, beispielsweise dem Guide, auszuhändigen.“ So komfortabel das Reisen an Bord ist, bleibt auch heute noch Raum für Abenteuer.

Die aktuelle Folge von Logbuch über Kiki Barons Reise nach Spitzbergen und auf die Lofoten gibt es hier

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